„Der Haṭha-Yoga – mitunter auch hatha-vidyā oder einfach Hatha bezeichnet - ist eine aus Indien stammende Erlösungslehre, d.h. eine Lehre, die jenen, die sie befolgen, in spirituellen Sinne „Freiheit“, „Befreiung“ oder „Erlösung“ schenken soll.“1
Haṭha-Yoga stellt ein integrales System dar, mit dem Ziel der spirituellen Entwicklung von Körper, Geist und Seele.
Schon allein der Bergriff des Körpers geht weit über das westliche Verständnis des physischen Körpers hinaus. Der Haṭha-Yoga sieht den physischen Körper nur als eine Hülle eines weitaus vielschichtigeren System feinstofflicher Hüllen. Zu diesem System gehören die chakras (Energiezentren), die nādis (Energiekanäle) und auch die kośa-Lehre (Körperhüllen). Durch die verschiedenen Methoden wie āsana, kriyā, prāṇāyāma, mudrā, mantra, Meditation soll die Praktizierende eine intensive physische und psychische Reinigung durchlaufen. In letzter Konsequenz ist das Ziel ein vollkommenes „Selbst-Gewahrsein“. Der Körper dient dem Yogi / der Yogini, aus dieser Sicht, als Zugangsmöglichkeit zu den tiefer liegenden Schichten von Geist und Seele.
„Das wichtigste Ziel des Hatha-Yoga ist die Vereinigung – nichts anderes heißt „Yoga“ wörtlich – zweier Arten von Prana, jener feinstofflichen „Lebenskraft“ also, die nach der Überzeugung aller indischen Lebenssysteme den menschlichen Körper durchdringt“2
Der Yogi versucht durch gezielte Techniken diese verschiedenen Prāna-Ströme zu bündeln und zu lenken. Dies geschieht vor allem durch ganz gezielte Muskelkontraktionen und Verschlüsse, diese werden bandha und mudrā genannt. Ziel ist die polaren Energieströme (aufwärts und abwärts strömendes prāna) im Zentralkanal (sushumnā-nādi) zu vereinigen.
In der sushumnā-nādi steigt die Energie durch die einzelnen chakras nach oben. Bei diesem Aufstieg wird psychisches Potential erschlossen.
„Im sahasrāra-padma („tausendblättriger Lotus“) am Scheitelpunkt des Kopfes „vereinigt“die Kundalinī sich schließlich mit Brahman (personifiziert als Gott Shiva). Diese Vereinigung ist Yoga.“3
Das Wort Haṭha kann auch auf eine volkstümliche Weise hergeleitet und erschlossen werden. Die Aufteilung in zwei Silben ha (Sonne) und tha (Mond), was also die Vereinigung von Sonne und Mond, als polare Prinzipien, impliziert.
Zuordnungen zur Silbe ha:
Sonne (sūrya)
männlich – erhitzende Energie
pingāla-nādi (rechts vom Zentralkanal)
auseinander führende Kraft
Zuordnungen zur Silbe tha:
Mond (chandra oder soma)
weiblich kühlende Energie
idā-nādi (links vom Zentralkanal)
das zentripetale, nach innen gerichtete, sich zusammenziehende Prinzip
1 Burley M. „Hatha Yoga“ (2005) / Lotus, München S. 13
2 ebenda S. 14
3 ebenda S. 15